Resonanzen

27. Mai 2025

Beim Grauen verweilen

Wie verhalten wir uns - wie können wir uns verhalten - wie könnten wir uns sinnvoll verhalten angesichts der Unsicherheit und dem rasanten Wandel in unserer Zeit?
Und können Supervisor*innen und Coaches das in besonderer Weise? Haben wir einen expliziten Auftrag, der sich aus unserem Berufsbild ergibt oder stellt sich nicht uns allen die Frage, wie wir uns in unserer Gesellschaft heute ver-halten sollen?

Der Theologe, Psychodramatiker und Pädagoge Dr. Christoph Hutter eröffnete bei der Bundeskonferenz der Diözesanverantwortlichen für Supervision und Coaching im deutschsprachigen Raum einen Denkraum zum Thema: „Unsicherheit und Wandel – eine Haltungsfrage“

"In welcher Tinte sitzen wir?" war eine seiner zentralen Fragen. Ist es die Überlastung durch fast täglich neue Schreckensnachrichten und das Gefühl der Ohnmacht, das beim Blick in die Welt entstehen kann? Oder ist es "Die eierlegende Wollmilchsau der Moderne", die ihr Versprechen nicht hält, dass alle in Wohlstand, Frieden und Freiheit leben werden?

Der Profet Daniel aus dem gleichnamigen Buch im Alten Testament war sein Schlüssel zur Haltung/zum Verhalten im Anbetracht der unfassbaren Weltlage: hinschauen und bezeugen.

Hinschauen und bezeugen!

Beim Grauen verweilen - nicht wegwischen, löschen, vorbeigehen, beschwichtigen, relativieren oder ignorieren.
Beim Grauen verweilen - die Wut ernst nehmen, die bei den Menschen aufkommt, weil sich ihre Welt verändert, ohne sie zu fragen.
Beim Grauen verweilen - den Schmerz und die Trauer sehen und anerkennen - über den Verlust von Gewohnheiten, von Heimat, von Ansehen und Orientierung.

10. Mai 2025

Gibt es Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit?

Und wenn ja: können wir sie finden? Gibt es Lösungswege, die einen Unterschied machen? Und was kann ich tun?

Ich durfte dabei sein bei einem "Deep Dive" zu dieser Thematik in Oberursel, zusammen mit einer Gruppe von Menschen, die Dynamic Facilitation lehren, praktizieren oder einfach nur erleben wollten. Zwei Tage lang haben wir uns diesen Fragen gestellt.
Es wurde ein sehr ergiebiges Schürfen in den tieferen Schichten unserer Erfahrung, unserer unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt, bei dem einige "Goldnuggets" an die Oberfläche kamen, nicht zuletzt durch die Möglichkeit für die Teilnehmenden, selbst zu moderieren und von der Gruppe Feedback zu erhalten. Auch ich durfte diese Gelegenheit nutzen und habe sehr von der Erfahrung profitiert!
Am Ende stand nicht "die eine Antwort" - das Ergebnis war viel tiefgreifender:

Eine Horizonterweiterung nach außen:
- es gibt viele (Lösungs-)Möglichkeiten, viele Antworten, viele Wege,
- vieles passiert schon da draußen

und eine Horizonterweiterung nach innen:
- ich bin schon auf (m)einem Lösungsweg
- weniger ist mehr
- ich bin nicht allein und ich bin nicht allein für das Erreichen der Lösung verantwortlich

Den Rahmen für diese Art des Gesprächs, das wegführt vom Pro-Contra zum "UND", vom Rechthaben zur Eröffnung neuer Möglichkeiten, haben die Pioniere und Pionierinnen von Dynamic Facilitation geschaffen: Matthias zur Bonsen von All-in-one-Spirit zusammen mit dem Verein Dynamic Facilitation e.V und Rosa Zubizarreta-Ada, Ph.D. die die Methode von Jim Rough aus den USA verschriftlicht hat, sowie mit Holger Scholz von den Kommunikationslotsen und seinem Sohn, der als Schülerpraktikant die Perspektive der Jugend in den Kreis gebracht hat.

Es waren für mich sehr inspirierende Tage aus denen ich mit einem ganzen Schatz an Erfahrungen nachhause gefahren bin. Danke an alle, die dabei waren und diese Tage so bereichernd gemacht haben!

03. Juli 2024

Hilfe, wir haben ein Problem!

Komplizierte und verfahrene Situationen gut zu lösen - das ist gerade an vielen Stellen notwendig, sowohl im kleinen Bereich als auch auf der großen politischen Bühne. Wir können oft nicht mehr miteinander reden bzw. uns nicht mehr zuhören, ohne die anderen sofort abzuwerten und zu verurteilen. Bestes Beispiel: die Ampel-Koalition, die an der Oppositionshaltung innerhalb der Regierung regelmäßig scheitert und daher keine tragfähigen politischen Entscheidungen treffen kann.

Dabei wäre es so wichtig, dass die komplexen Probleme unserer Zeit konstruktiv angegangen werden und wir uns über unserer Komfort-Zone und oft ideologischen oder einfach nur zur Gewohnheit gewordenen Sichtweisen hinaus bewegen, um ohne Abwehrreflexe kreative neue Lösungen zu finden.

Dynamic Facilitation ist eine Moderationsmethode, die genau das möglich macht. Die unterschiedlichen Sichtweisen, Bedenken und Lösungsideen erst einmal wertungsfrei anzuhören, um dann wie bei einem großen Puzzle alle 1000 Teile auf dem Tisch zu haben und zu schauen, welches Bild sich daraus ergibt. Im Unterschied zum Puzzle steht bei DF-Prozessen das Ergebnis jedoch nicht fest. Vielleicht befinden sich mehrere Puzzle in einer Schachtel oder das Puzzle ergibt am Ende nicht das Bild, das auf der Schachtel ist.

Dynamic Facilitation - wie alle Gesprächsformen, die auf dem Weg des Kreises basieren - lädt zum Zuhören ein und zur Erweiterung der Perspektive: mir wird zugehört und ich bin aufgefordert auch mir selbst zuzuhören. Was liegt denn unter der offensichtlichen Meinung, die ich von etwas habe? Was ist denn eigentlich das Thema? Und was passiert, wenn wir all das auch von den anderen hören?

Dynamic Facilitation ist dabei immer lösungsorientiert. "Und was wäre deine Lösung, wenn du entscheiden könntest?" Dabei werden die Teilnehmenden nicht nur in die Pflicht genommen, von der Beschwerde in die Verantwortung zu kommen, sondern auch die Kompetenz und Erfahrung jedes einzelnen abgefragt und wertgeschätzt. So entsteht eine große Auswahl an Lösungsideen. Am Ende kann die Lösung dann eine ganz andere sein, als am Anfang angenommen, weil sich im Prozess u.U. die Frage verändert.

Wir haben ein Problem? Lass uns mal drauf schauen und zuhören!

11. Mai 2023

Warum Mobbing so gut funktioniert und was dagegen hilft

Mobbing findet meistens in einem Kontext statt, in dem ein Machtgefälle existiert. Dadurch gerät das Opfer in eine Dilemma-Situation: Die Attacken aushalten oder den Verlust des sozialen Umfelds und/oder finanzielle Sicherheit bzw. persönliche oder berufliche Entwicklungsmöglichkeiten aufgeben.
Die Deutungshoheit über die Situation liegt in der Regel beim Täter. Das Opfer ist durch die persönliche Verletzung in seiner Souveränität beschädigt und kann auf der Sachebene nicht unbefangen handeln, was zu weiteren Fehlern oder unzureichender Performance führt und damit die Sichtweise des Täters bestätigt.
In der Gruppe wird das Verhalten des Täters zwar wahrgenommen, aber gebilligt bzw. verharmlost. Damit wird das Mobbing endgültig zum Problem des Opfers, das "zu empfindlich", "nicht kritikfähig" oder zu kritisch ist und aus diesem Grund "nicht passt". Verlässt das Opfer die Situation, wird dies als Eingeständnis von Schuld oder Unfähigkeit gesehen. Das Opfer verliert damit das Gesicht, ist diskreditiert und isoliert.

Was hilft?

- grenzverletzendes Verhalten nicht unwidersprochen stehen lassen
- diskriminierende Äußerungen nicht als Kavaliersdelikt zu adeln

und vor allem die Förderung einer positiven Fehlerkultur:

Wenn Fehler als Möglichkeit zum Wachstum gesehen werden, kann positive Kritik zu Entwicklung, Wachstum und Engagement führen. Im geschützten Raum Fehler machen zu dürfen, Unterstützung für die Entwicklung meiner Fähigkeiten zu bekommen macht solidarisch, fördert das Miteinander. Nur so kann im Ernstfall Höchstleistung erbracht werden, die von allen getragen wird und eine Gemeinschaft, die alle trägt.

01. März 2023

From "A morning offering"

May I have the courage today
to live the life that I would love
to postpone my dream no longer
but do at last what I came here for
and waste my heart on fear no more.

John O'Donohue

09. Dezember 2022

Ungenügend bis Mangelhaft

Scheitern gehört nicht zu den Qualifikationen, die wir in unserer schulischen und beruflichen Laufbahn erwerben wollen. Auch im private Bereich wollen wir lieber nicht scheitern.

Was wäre, wenn wir den Fehler, den Makel, die Lücke nicht verteufeln, sondern wertschätzen, ja als notwendig betrachten würden, wenn Fehler erwünscht wären?

Ja, ich weiß, es gibt Bereiche, wo es keine Fehler geben sollte und sie fatale Wirkung haben. Nur: wir verhalten uns so, als ob das Leben an sich keine Fehler haben dürfte. Wurde uns nicht oft genug gesagt: Nicht für die Schule lernen wir...? Warum also dürfen wir schon in der Schule - aber später auch im Leben und im Beruf - keine Fehler machen?

Was wäre, wenn wir uns trauen würden, weniger makellos zu sein, weniger perfekt, wenn es ok wäre zu sagen: Das weiß ich (noch) nicht. das kann ich so nicht. Das hat nicht geklappt. Da habe ich mich geirrt. Das war ein Fehler - ja, ein Fehler! Oder: Das ist nicht mein Weg. Und wenn wir trotz oder gerade wegen unseres Scheiterns geschätzt würden. Vielleicht kann daraus die Kraft entstehen, aufzustehen und weiter zu gehen, den Fehler als Entwicklungsschritt zu sehen, der gut war und sein darf, weil ich nur so herausfinden kann, welcher Weg mein Weg ist.

Dann könnten wir Unterschiede nicht nur gelten lassen, sondern die Menschen - auch die Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen, Chef*innen und vor allem die Kinder - in ihrer Vielfalt und mit ihren individuellen Eigenschaften wertschätzen, nicht nur ihre Noten, Abschlüsse und Zertifikate.

Mangelhaft wäre dann fabelhaft!

1. Dezember 2022

Was ist mir wichtig?

Ist das nicht die Frage, an der sich fast alle Konflikte entzünden, auch Konflikte mit mir selbst? Oft stellen wir uns diese Frage nicht bewusst und doch beeinflusst sie unser Denken und Handeln permanent, ist sie der Kompass für unsere Entscheidungen, so etwas wie ein inneres Magnetfeld für unser Leben. Sie stellt sich in allen Bereichen meines Lebens, ob im Beruf, meinen Beziehungen oder bei der Gestaltung meines Alltags. Ich entscheide mit diesem Kompass, mit welchen Menschen ich mich umgebe und wie ich mich ihnen gegenüber verhalte, wie ich meinen Alltag gestalte und womit ich meine Zeit verbringe.
Doch manchmal verlieren wir die Orientierung, gibt es eine Störung im Magnetfeld, dreht sich die Kompassnadel wild im Kreis und ich kann die Richtung nicht mehr erkennen: Ich sage etwas, das ich so nicht meine und verletze einen Menschen, den ich gern habe. Ich treffe Entscheidungen, die für mich oder andere Nachteile bringen oder sogar schädlich sind. Ich halte Dinge für wichtig, die es eigentlich nicht sind, schenke ihnen Zeit, Aufmerksamkeit und Ressourcen. Oder ich lebe vielleicht sogar ein Leben, spiele eine Rolle, die mir nicht entspricht.
In diesen Momenten kann es helfen, eine Pause zu machen, zur Ruhe zu kommen und mich neu auszurichten an dem, was mir wichtig ist - wirklich wichtig - und das andere loszulassen. Dann verblassen die vielen scheinbar wichtigen Dinge, die mich im Hamsterrad laufen lassen, verlieren an Bedeutung und Macht über mich und mein Leben. Das Magnetfeld kann sich ausspannen, ich kann mich, meine Bedürfnisse und Werte wieder spüren. Und das ist wirklich wichtig!

08. Oktober 2022

"Erntedank"

"Wenn der Krieg vorbei ist, musst du uns in Odessa besuchen! Dann baden wir im schwarzen Meer." Diese Einladung haben meine neuen ukrainischen Freunde schon in der Zeit ausgesprochen, als die russische Armee täglich neue Landgewinne machte. Aktuell sieht es für die Ukraine besser aus, aber die Situation ist angesichts dieser Tatsache so angespannt wie sie es seit der Kuba-Krise nicht mehr war. Die Bedrohung durch einen Atomschlag steht in knallroten Lettern an der Wand. Dass die Folgen für die Welt verheerend sein werden, ist bekannt. Es kann nur Verlierer geben. Offenbar verdrängen jedoch die Männer an der Schaltknöpfen der Macht diese Tatsache, stehen Hass und Gewalt im Vordergrund.

All das bietet wenig Anlass zur Dankbarkeit, lässt all die Bemühungen um Frieden, Demokratie und Völkerverständigung so vieler Menschen als nichtig erscheinen.

Und trotzdem stehlen sich Gedanken an das "danach" in mein Bewusstsein, an Möglichkeiten des Wiederaufbaus, an eine Zukunft mit Osteuropa, das durch diesen Krieg ganz neu in unser Bewusstsein gedrungen ist. Da ist auch Dankbarkeit für die Begegnung mit Menschen aus Osteuropa: jüngst aus der Ukraine, aber auch aus Polen/Breslau, der ehemaligen Heimat meiner Eltern, aus Ungarn/Budapest, aus Tschechien/Prag. Und ja, auch Russland gehört in diesen Kreis, braucht eine neue Chance nach diesem Albtraum, so wie wir Deutschen sie 1989/90 bekommen haben.
Es ist für mich heute noch immer ein Wunder, dass Deutschland und Europa dieses Geschenk der Wiedervereinigung ohne Waffengewalt bekommen haben, allein durch den unbändigen Wunsch der Menschen in Ostdeutschland nach Freiheit. Sie lohnen sich also - all die kleinen Schritte und Gesten der Versöhnung. Sie schenken Zuversicht und bauen den Frieden. Danke!

28. September 2022

Wie nutze ich meine Zeit?

In diesen Tagen erhalte ich häufig die Antwort: "Tut mir leid, aber wir sind gerade total überlastet!" Eine Ursache dafür sind immer noch Corona-bedingte Krankheitsausfälle, Personalmangel oder aktuelle Herausforderungen, wie z.B. an den Schulen die Notwendigkeit, ukrainische Kinder zu integrieren. Oft sind es aber auch schlechte Organisation, redundante Arbeitsabläufe, mangelnde Kommunikation und die Überforderung, die aus all dem entsteht. Und das betrifft nur den Bereich der Arbeit - es gibt auch noch Familie und Freundeskreis, Freizeitaktivitäten oder gesellschaftliches Engagement. Viele Menschen gehen bis über die Belastungsgrenze, tun ihr Bestes und es reicht dennoch nicht.

Wie nutze ich meine Zeit?

Die Frage enthält auch eine Wertung? Ich kann meine Zeit nutzen oder vergeuden, sie mit den falschen Dingen füllen, nicht effektiv sein, trödeln oder - noch schlimmer - faul sein. Wer bestimmt, ob ich meine Zeit "genutzt" oder vergeudet habe? Kann ich überhaupt über meine Zeit bestimmen? Diktieren nicht andere, wie ich meine Zeit zu nutzen habe und ich muss meine Bedürfnisse dem unterordnen? Wie kann ich diesem Zwang entkommen, das Hamsterrad verlassen? Und: ist es die Entscheidung darüber was ich tue oder nicht vielmehr wie ich es tue?

Was nimmt in meinem Leben Raum ein? Wem gebe ich in meinem Leben Raum? Und was möchte ich? Was er-füllt mein Leben? Wofür nehme ich mir Zeit? Wem schenke ich meine Zeit?